Geschlossene Unterbringung in der Jugendhilfe – Chance oder Kapitulation

Veröffentlicht am: 23. März 2014

Geschlossene Unterbringung in der Jugendhilfe – Chance oder Kapitulation

Hohe Resonanz am Fachtag im Jugendhilfezentrum Don Bosco

 

Etwa 70 Teilnehmerinnen aus Hessen und darüber hinaus hatten sich bei strahlendem Sonnenschein zum 1. Fachtag im Jugendhilfezentrum Don Bosco Sannerz eingefunden. Das interessante Thema „Geschlossene Unterbringung – Chance oder Kapitulation der Jugendhilfe“ lockte gleichermaßen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Jugendhilfepraxis, sowie die Leitungsebenen von Einrichtungen und Ämtern. So konnte P. Christian Vahlhaus SDB, Einrichtungsleiter des Jugendhilfezentrums, mit Dr. Christian Peter und Susanne Nöcker zwei Vertreter des Sozialministeriums begrüßen. Außerdem vertraten Heike Ullinger und weitere Kollegen der Heimaufsicht den Main-Kinzig-Kreis. Vom Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) in Mainz, das die spezialisierte und zum Teil umstrittene Wohngruppe im Jugendhilfezentrum wissenschaftlich begleitet, war Joachim Klein unter den Gästen.
 „Wir freuen uns auf einen offenen Austausch sowie anregende und durchaus kontroverse Diskussionen“, wünschte sich P.  Vahlhaus und übergab an seinen Ordensbruder P. Ulrich Otto, der als Mitglied des Provinzialrates die Konzipierung der Gruppe mit geschlossenen Anteilen von Beginn an maßgeblich mitgestaltete.

Dieser erläuterte die Entstehung der intensivpädagogisch-therapeutischen Wohngruppe, die mit der Eröffnung im Oktober 2012 den Namen Murialdo nach einem Wirkungsort des Ordensgründers Giovanni Bosco erhielt.
 „Mit den pädagogischen Leitlinien Don Boscos als handlungsleitende Maxime unserer Arbeit, trauten wir uns die Entwicklung eines pädagogischen Konzepts für eine solche Gruppe zu,“ erinnerte sich P. Otto und stellte die konzeptionelle Entwicklung in einem multiprofessionellen Expertenteam mit Beteiligung des Sozialministeriums vor. „Ohne Einschränkung und Vorbedingung sagen wir dem jungen Menschen:  Schön, dass Du da bist!“

Da die 10-13jährigen Kinder einen Rucksack mit vielfältigen und vor allem auch psychisch bedingten Problemstellungen mitbringen, war die Kooperation und enge Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) unabdingbar. Mit Herrn Prof. Dr. Matthias Wildermuth, Leiter der Vitos Klinik in Herborn konnte ein Partner gewonnen werden, der mit zwei Mitarbeiterinnen regelmäßig Fallbesprechungen gemeinsam mit dem pädagogischen Team der Gruppe Murialdo durchführt.

Mit dem Thema „Psychisch gestört oder verhaltensauffällig, wer trägt die Verantwortung“ führte Herr Prof. Dr. Wildermuth in seinem kurzweiligen Vortrag Thesen und Erläuterungen zum gemeinsamen Fallverständnis und unterschiedlichen Arbeitsansätzen von Jugendhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie an. Prof. Dr. Wildermuth verstand es gekonnt, hochkomplexe Vorgänge in Alltagssprache zu übersetzen und diese mit konkreten Beispielen zu verdeutlichen. Er führte aus, welche Auswirkungen Bindungsstörungen und Mangel an Empathie für Menschen haben können. Diese Diagnosen sind bei Kindern mit Multiproblemstellungen sehr häufig, entwickeln sich im Kleinkindalter und können nicht mehr nachgeholt werden. „Wir lernen nur an anderen Menschen“ und „der Mensch muss ein Gegenüber haben“ stellte Prof. Dr. Wildermuth fest und vermittelte, dass die oft traumatisierten Kinder dies in wichtigen Entwicklungsphasen entbehren mussten, und gerade dieses daher zu einer Hauptaufgabe für Pädagogen, Erzieher und Psychologen wird. An dem zustimmenden Kopfnicken der Gäste war zu spüren, dass sie den einen oder anderen Klienten bildlich vor Augen hatten. Viel zu schnell verging die Vortragsstunde und Prof. Dr. Wildermuth wurde mit einem begeisterten Applaus belohnt.

In der kurzen Kaffeepause nutzten viele die Gelegenheit sich intensiv auszutauschen und gleichzeitig ein paar warme Sonnenstrahlen zu tanken.
 Der zweite Vortrag wurde von Frau Dr. Hanna Permien gestaltet, die als wissenschaftliche Referentin des Deutschen Jugendinstituts in München einige Jahre zur Wirkung freiheitsentziehender Maßnahmen forschte. Mit dem Titel „Fördert Freiheitsentzug  ein gelingendes Leben nach der Entlassung?“ stellte sie eine Studie mit 36 Jugendlichen vor, die in verschiedenen geschlossenen in Deutschland untergebracht waren. Dr. Permien favorisierte den Begriff „freiheitsentziehende Maßnahmen“ statt geschlossene Unterbringung, da dies in der Gestaltung der Hilfsmaßnahmen deutlich mehr Freiheiten zulässt. Sie warnte vor einer Überanpassung der Kinder an die Regeln der Gruppe, denn dies bedeute nicht gleichzeitig, dass sie Lebenskompetenz entwickeln würden. Sie zitierte eine während der Studie befragte junge Frau „Ich habe mich nie gezeigt wie ich bin, habe mich immer angepasst aus Angst vor dem „timeout“-Raum.“  

Die Übergangsphase von der freiheitsentziehenden Maßnahme hinein in eine offene Gruppe oder zurück in die Familie sah Dr. Permien als besondere Herausforderung mit vielen Hindernissen im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichen Anforderungen und Gestaltung des eigenen Lebens.