Hamid Nooris Odyssee in eine neue Heimat

Veröffentlicht am: 25. Januar 2016

Bad Soden - Im jugendlichen Alter von seinen Eltern getrennt und aus der Heimat vertrieben zu werden, etwas Schlimmeres kann es für einen Heranwachsenden wohl kaum geben. Dieses Schicksal widerfuhr dem 18-jährigen Hamid Noori, der seit dem Sommer 2015 beim Fußball-Verbandsligisten SG Bad Soden spielt und als großes Talent gilt.

„Im Alter von 15 Jahren hat Hamid seine Heimat Afghanistan verlassen, weil die Taliban seinen Vater entführt hatten und ihm dieses Schicksal auch drohte“, berichtet Roland Müller, der seit 35 Jahren in der Jugendhilfeeinrichtung „Don Bosco“ in Sannerz als Pädagoge arbeitet und der Sohn des langjährigen Kreis-schiedsrichterobmanns Hans Müller ist. Bis heute fehlen Hamid Noori weitere Informationen, was aus seinem Vater geworden und ob er überhaupt noch am Leben ist. Auch zu seiner Mutter, die angeblich aus Afghanistan in den Iran geflüchtet sein soll, ist der Kontakt mittlerweile abgebrochen.

Die lange Irrfahrt Hamid Nooris per Schiff, als Beifahrer auf Lastkraftwagen und in Autos dauerte zwölf Monate. „Die Flucht führte mich durch den Iran, die Türkei, Griechenland, Italien, Frankreich und endete schließlich in Deutschland“, berichtet der 18-Jährige. „Unterbrochen war die Flucht zeitweise in Italien und Frankreich, wo sich Hamid Fußballvereinen anschloss und dort mittrainierte, dennoch war in dieser Zeit große Angst sein ständiger Begleiter, er lebte auf der Straße und übernachtete oft unter freiem Himmel“, weiß Roland Müller aus Gesprächen mit dem Fußballtalent.

In Deutschland eingetroffen, wurde Noori ins Jugendamt nach Gelnhausen bestellt. Sein Weg führte ihn zunächst weiter ins CJD (Christliches Jugend Dorfwerk) im Schloss Hausen, dem Stadtteil von Bad Soden-Salmünster. Nächste Station für Hamid Noori war dann für ein halbes Jahr die Jugendhilfeeinrichtung „Don Bosco“ in Sannerz, wo Roland Müller die intensive Betreuung übernahm.

Dem 59-Jährigen Müller, einst selbst Fußballer und derzeit noch aktiver Tennis- und Tischtennisspieler in Schlüchtern, hat Noori viel zu verdanken. „Er hat mir sehr viel geholfen“, sagt Noori mit dankbarem Blick. Der junge Bursche besuchte die Schule, hat mittlerweile den Hauptschulabschluss geschafft. Müller erledigte zahlreiche Behördengänge für seinen Schützling, stand mit Rat und Tat in privaten, schulischen und sportlichen Fragen zur Seite. „Ich habe dazu beigetragen, ihn auf die Spur zu bringen“, sagt Roland Müller. Ein wenig neben der Spur habe sich Noori dann in jener Zeit befunden, in der er sich große Sorgen um seinen drei Jahre jüngeren Bruder Hamed machte, als dieser sich ebenfalls auf der Flucht befand. Mittlerweile aber ist auch Hamed Noori in Deutschland eingetroffen, lebt seit Herbst letzten Jahres im CJD im Schloss Hausen und spielt Fußball bei den Junioren des JFV Bad Soden-Salmünster. Der große Bruder Hamid indes wohnt nicht mehr im Heim, sondern hat eine Privatwohnung in Bad Soden-Salmünster bezogen.

Sportlich wie privat geht es für Hamid Noori weiter voran und aufwärts. Dem Hauptschulabschluss folgte ein Berufsgrundbildungsjahr in der Fachrichtung Holz bei der Firma Wolf in Bad Soden. „Vier Tage pro Woche ist Schule angesagt, an einem Tag wöchentlich absolviert Hamid ein Praktikum im Betrieb“, weiß Roland Müller. Im Sommer soll sich dann der Beginn einer Lehre anschließen. Auch fußballerisch befindet sich Hamid Noori beim Verbandsligisten SG Bad Soden in guten Händen. Nach der Juniorenzeit beim JFV Viktoria Fulda wechselte er im Sommer 2015 in die Kurstadt. „Wir haben eine gute Mannschaft, die in die Hessenliga aufsteigen kann, und von Trainer Sead Mehic habe ich viel gelernt“, ist Hamid Noori voll des Lobes für sein neues fußballerisches Umfeld. In gut der Hälfte der Spiele des Titelanwärters und möglichen Aufsteigers in die Hessenliga wurde das Talent bis dato eingesetzt. Bei seinem überraschenden Debüt gleich im ersten Heimspiel gegen Rothwesten erzielte Hamid Noori ein sensationelles Freistoßtor.

Freilich hat Noori in der Kurstadt gänzlich andere fußballsportliche Bedingungen vorgefunden als noch in seiner afghanischen Heimat. Mit dem Begriff „Straßenfußballer“ ist das Kicken dort wohl nur unzureichend beschrieben. „Dort spielt man nicht auf Rasen, sondern auf bloßer Erde, Tore gibt es schon, aber Fußballteams haben keinen Trainer und Spiele werden auch nicht von Schiedsrichtern geleitet“, berichtet Hamid Noori mit einem Lächeln im Gesicht.

Oswald Leibold / Kinzigtal Nachrichten vom 23.01.2016

 

Foto: Hamid Noori (links) im Dress der SG Bad Soden und (rechts) mit seinem Betreuer Roland Müller. Fotos: Schleich, Leibold / Kinzigtal Nachrichten vom 23.01.2016